Hormone sind nicht gleich Hormone

Portrait Anke Sinnigen

In einem sehr ausführlichen Artikel über die Hormonersatztherapie (HRT) in der Süddeutschen Zeitung von Werner Bartens (vom 19.1.2024) soll der Begriff „bioidentische“ Hormone als eine Art Marketinggag entlarvt werden. Aus Sicht des Autors – und zur Bestätigung zieht er dafür Zitate von mehreren Wissenschaftlern/innen heran – seien „bioidentische“ Hormone nicht anders oder gar besser als „synthetisch gewonnene“ Hormone, und die Risiken würden von Influencerinnen, allen voran von der Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe Dr. Sheila de Liz („Woman on fire“) verharmlost werden.

Der Artikel verunsichert Frauen unnötig. Beim Lesen kann nur der Eindruck entstehen, dass Frauen die Finger von „bioidentischen“ Hormonen lassen sollen, denn diese seien gefährlich, ihre Wirksamkeit nicht belegt und/oder unnötig, weil in einer „physiologischen Phase, die jede Frau durchmacht, nichts ersetzt werden muss.“

Tatsächlich hat er damit eine große Chance vertan. Viel hilfreicher wäre es gewesen, den Artikel für eine wissenschaftliche Aufklärung über die Wechseljahre als auch für die Beseitigung eines großen Missverständnisses über den Begriff „Hormone“ zu nutzen: Der Autor wirft wie viele mit dem Wort „Hormone“ die körpereigenen Hormone (nur das soll mit dem Wort „bioidentisch“ unterstrichen werden) und die körperfremden Hormonderivate in einen Topf. „Der Name „bioidentisch“ ist ungünstig, das ist richtig“, sagt die Fachärztin für Innere Medizin und Nephrologie Dr. Helena Orfanos-Boeckel. „Im Deutschen denkt man dabei an „Bio“ und gefühlt stellen sich viele Laien dann falsch vor, dass diese bioidentischen Hormone quasi ‚natürlich am Baum wachsen‘ würden.“

Nur bioidentische Hormone sind körpereigene Hormone

Der Einfachheit halber (oder war es ein Marketing-Schachzug?) wurden die Wirkstoffe in der Pille und in der „alten“ HRT als „Hormone“ bezeichnet, denn sie wirken ähnlich wie Hormone. Als dann später die körpereigenen/bioidentischen Hormone auf den Markt kamen, also Wirkstoffe, welche die gleiche chemische Molekülstruktur wie unser in den Eierstöcken produziertes Östrogen oder Progesteron haben, nannte man diese – richtigerweise – auch Hormone. Um den Unterschied zu den hormonell wirksamen Medikamenten zu verdeutlichen, setzte man ein „natürlich“ oder ‚bioidentisch“ davor. Dabei werden sie im Labor aus pflanzlichen Vorstufen im weitesten Sinne „synthetisch“ hergestellt. Aber da eine Unterscheidung kompliziert wäre, fällt diese oft unter den Tisch. Auch in vielen Studien wird nicht zwischen den beiden „Hormongruppen“ unterschieden.

Dr. med. Orfanos-Boeckel

Dr. Helena Orfanos-Boeckel plädiert dafür, zwischen körperfremden Hormonderivaten und körpereigenen Hormonen zu unterscheiden, um endlich die Verwirrung über die HRT und einen seit Jahrzehnten andauernden Denkfehler aufzulösen. „Die Bezeichnung „bioidentisch“ wurde aus dem Englischen übernommen, die hat sich niemand hier ausgedacht“, sagt die Stoffwechselexpertin. „Sie entstand als Reaktion auf das Chaos, welches durch den Abbruch der WHI-Studie 2002 entstanden ist. Tatsächlich sind die pharmakologischen körperfremden Derivate und unsere körpereigenen Hormone aber zwei verschiedene Paar Schuhe.“

Es kann nur eine geben: Die WHI-Studie

Im Artikel wird außerdem darauf verwiesen, dass es keine vergleichbar große Studie wie die WHI-Studie (die hauptsächlich mit der „alten“ HRT durchgeführt wurde) gibt, die den Nutzen der bioidentischen/körpereigenen Hormone belegen würde. Das stimmt. Aber es wäre nur fair zu fragen, warum es diese nicht gibt. Denn seit dem Ende der WHI-Studie gab es generell keine vergleichbare große Studie, weil für die Erforschung der Frauengesundheit nach der reproduktiven Phase kaum Geld zur Verfügung gestellt wird. Bei der Leserin entsteht aber so der Eindruck, bioidentische Hormone hätten keine nachgewiesene Wirksamkeit, und sie wären nicht sicher. Das ist falsch. Denn Studien zeigen, dass die bioidentische HRT sicherer ist als die HRT mit körperfremden Hormonderivaten. Deshalb wird sie auch bevorzugt verordnet.

Foto der Gynäkologin Dr. Judith Bildau

„Immer wieder wird die WHI-Studie als Maß der Dinge genannt“, sagt die Fachärztin für Gynäkologie, Dr. Judith Bildau. „Die können wir nicht reproduzieren, aber wir haben viele andere Studien, die die Wirksamkeit und Sicherheit bioidentischer Hormone bestätigen. Das sind Kohortenstudien wie die E3N-Studie mit knapp 100.000 Teilnehmerinnen. Diese konnte etwa zeigen, dass das Brustkrebsrisiko mit einem synthetischen körperfremden Gestagen steigt, bei einer HRT mit mikronisiertem Progesteron kam es dagegen zu keiner signifikanten Steigerung. Und wir wissen, dass die transdermale Gabe des bioidentischen 17-ß-Östradiols kardiovaskuläre Risiken reduzieren kann, darunter vor allem das Risiko von Venenthrombosen.“

Sie ergänzt: „Es wird auch immer so getan, dass bioidentische Hormone etwas ganz Neues sind, dabei behandeln wir seit Jahrzehnten damit!“  

Auch die Aussagen zu bioidentischen Individualrezepturen und zugelassenen bioidentischen Fertigarzneimitteln sind so verschachtelt, dass die Leserin den Eindruck bekommt, dass sie um das, was im Hinterzimmer der Apotheke angemischt wird, besser einen großen Bogen machen sollte – und der Autor lässt sie in dem Glauben, dass das auch für Fertigarzneimittel gilt.

Der Artikel blendet zudem aus, dass die Menopause eine Art „Brandbeschleuniger“ für Alterserkrankungen bei Frauen ist, denn die Risiken für u. a. die Herz- und Gehirngesundheit als auch Osteoporose nehmen postmenopausal zu. Der positive Einfluss von Östrogen auf den Stoffwechsel ist bekannt, auch wenn hier erneut große randomisierte und placebokontrollierte Studien fehlen, wäre es wichtig, diese Tatsache der Risikosteigerung ebenfalls zu erwähnen. Frauen in der Lebensmitte sind alt genug, um eine Entscheidung für ihre Gesundheit treffen zu können.

Was sagt die Praxis: Welche Erfahrungen machen Ärzt:innen mit bioidentischen Hormonen?

Die Gynäkologin Dr. Anne Scheffler-Gumm

Dr. Anne Scheffler-Gumm ist niedergelassene Gynäkologin in Timmendorfer Strand. Sie sagt, dass eine individuelle bioidentische Hormontherapie die Beschwerden massiv lindern kann. Das sieht sie tagtäglich in ihrer Praxis. „Diese Frauen sind gesünder als die Frauen, welche einfach die Beschwerden ertragen. Sie haben weniger Übergewicht, weniger psychische Probleme. Es fällt ihnen leichter, Sport zu treiben, abzunehmen und sich gesünder zu ernähren.“

Werner Bartens Ratschlag ist dagegen, lieber nur auf Ernährung und Sport zu setzen. Denn schließlich sind die Wechseljahre keine Krankheit und damit sei der Ansatz einer Therapie grundsätzlich in Frage zu stellen. Das sind sie auch nicht – wie auch Potenzprobleme, Arthrosen oder Sehverlust. Sind diese gesundheitlichen Herausforderungen deshalb nicht behandlungswürdig? Soll man die Einschränkungen in der Lebensqualität einfach hinnehmen? Ernährung und Sport sind ohne Zweifel sehr wichtige Maßnahmen, die jede Frau in den Wechseljahren unbedingt berücksichtigen sollte. Aber sie reichen eben oft nicht aus, um die Lebensqualität von Frauen in der Lebensmitte wiederherzustellen. Das anzuerkennen sowie die Bedürfnisse und Wünsche von Frauen ernst zu nehmen, ihnen objektiv die Pro und Contras einer HRT vorzustellen, nach Lösungen für das sprachliche Hormon-Wirrwarr zu suchen, das wäre eine echte Unterstützung für Frauen (und Ärzt:innen!) gewesen – diese sucht man in diesem Artikel aber vergeblich.

Hier einige weitere, durch Studien belegte Fakten für die HRT, die im Artikel leider unerwähnt bleiben:

  • Die HRT wird in der Leitlinie als Therapie der Wahl zur Behandlung von vasomotorischen Beschwerden empfohlen.[1]
  • Die HRT gilt als die effektivste Behandlung zur Linderung von Hitzewallungen. Im Schnitt sinkt die Häufigkeit um 75 Prozent.[2] 
  • Die HRT reduziert das Risiko von Osteoporose (davon sind eine von vier Frauen über 50 Jahren betroffen)[3]
  • Das Risiko für Dickdarmkrebs sinkt durch eine HRT um etwa 25%[4]
  • Für Frauen im Alter von 50-59 Jahren, die ausschließlich Östrogen erhielten, wurde in der WHI-Studie eine signifikante Verringerung von Herzinfarkten und Gefäßverkalkung festgestellt.[5]
  • Bei Frauen, die eine Östrogen-Monotherapie erhielten, war das Risiko für Brustkrebs leicht verringert (WHI-Studie).[5]

[1] S3-Leitlinie »Peri- und Postmenopause – Diagnostik und Interventionen«, Januar 2020

[2] 2) MacLennan, A et al. Oral oestrogen and combined oestrogen/progestogen therapy versus placebo for hot flushes. The Cochrane Database of Systematic Reviews (2004).

[3] Cauley, J., et al. (2003, Oct). Effects of estrogen plus progestin on risk of fracture and bone mineral density: the Women’s Health Initiative randomized trial. JAMA, 290(13), pp. 1729-38.

[4] Farquhar, C., et al., Long term hormone therapy for perimenopausal and postmenopausal women. Cochrane Database Syst Rev, 2009(2): p. CD004143.

[5] Manson, J., et al. (2013, Oct). Menopausal hormone therapy and health outcomes during the intervention and extended poststopping phases of the Women’s Health Initiative randomized trials. JAMA, 310(13), pp. 1353-68.

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