„Mit Aufklärung allein ist es nicht getan“

Portrait Anke Sinnigen

Dr. med. Anne Scheffler-Gumm ist Gynäkologin aus Leidenschaft. In ihrer Praxis in Timmendorf bietet sie mittlerweile auch privatärztliche Leistungen an, weil sie im Rahmen ihrer kassenärztlichen Tätigkeit Patient:innen nicht mehr so betreuen kann, wie es ihrem Ethos entspricht.

Mein Eindruck ist, dass es immer mehr niedergelassenen Ärzt:innen so geht. Sie sind enttäuscht, dass es kaum Unterstützung für die ambulante Versorgung gibt, dass sie immer weniger Zeit für das Gespräch mit ihren Patient:innen haben und stattdessen mit bürokratischen Maßnahmen überhäuft werden.

Das geht zu Lasten der Patient:innen, und ein Thema wie die Wechseljahre fällt durch das Raster. Unabhängig davon, dass mehr als die Hälfte der Menschheit von den hormonellen Veränderungen betroffen sind, Frauen in den Wechseljahren als medizinisch unterversorgt gelten, wir immer älter werden und die Wechseljahre ein entscheidendes Fenster sind, in dem die richtigen Weichen für ein gesundes Älterwerden gestellt werden sollten.

Die Behandlung von Frauen in den Wechseljahren ist wirtschaftlich nicht attraktiv

Selbst Ärzt:innen, die sich auf eigene Faust mehr Wissen über die Behandlung in den Wechseljahren angeeignet haben (denn das Thema Menopause findet im Medizinstudium quasi nicht statt), und Frauen eine bessere Betreuung bieten könnten, nehmen nur einen Teil der Patient:innen auf, weil sie überlastet sind und die Behandlung dieser Frauen sich wirtschaftlich nicht lohnt: Aktuell können sie nur eine Pauschale von ca. 16 Euro pro Quartal abrechnen, egal wie oft eine Patientin während der drei Monate in ihre Praxis kommt. Auf der einen Seite stehen also 9 Millionen Frauen, die zurzeit in Deutschland in den Wechseljahren sind, auf der anderen Seite nur wenig spezialisierte Ärzt:innen, für die sich eine kassenärztliche Behandlung dieser Patientinnen kaum rechnet. Wie kann eine bessere Betreuung von Frauen in den Wechseljahren gelingen? Darüber habe ich mit Dr. med. Anne Scheffler-Gumm gesprochen.

Die Aufklärung über die Wechseljahre ist unzureichend. Viele Frauen können ihre Beschwerden nicht einordnen, was unter anderem mit der langjährigen Tabuisierung des Themas zusammenhängt. Erste Anlaufstelle wäre die Gynäkolog:in. Warum findet auch bei diesen Arzt:innen häufig keine ausreichende Aufklärung statt?

Dr. Anne Scheffler-Gumm: Es gibt in einer Kassenarztpraxis eine Unterteilung in präventive und kurative Leistungen. In der Prävention gibt es bisher keine Leistung zur Aufklärung über die Wechseljahre. Wechseljahre sind zunächst ein physiologischer, also nicht krankhafter Zustand. Beschwerden der Wechseljahre kann man den kurativen Leistungen unterordnen. Bei Beschwerden ist es meines Erachtens unsere ärztliche Aufgabe, beschriebene Symptome einzuordnen, darüber aufzuklären und Behandlungsoptionen aufzuzeigen bzw. Therapien umzusetzen.

Außerhalb der Grundpauschale EBM Ziffer 08211/08220 (das sind konkret etwa 16 Euro) existiert zunächst keine Abrechnungsmöglichkeit der Behandlung von Beschwerden. Lediglich unter der EBM Ziffer 35100 („Differentialdiagnostische Klärung psychosomatischer Krankheitszustände) ist ein ausführlicheres Gespräch finanziell abzubilden. Dies sind Ziffern, welche eine psychosomatische Diagnose oder Verdachtsdiagnose benötigen und können in der breiten Masse der Patient:innen nicht ohne Regressrisiko abgerechnet werden. Wir Ärzt:innen müssen wirtschaftlich arbeiten: wenn beispielsweise mehr als ca. 6 -10 Prozent der Gesamtfälle in der Abrechnung eine psychosomatische Verdachtsdiagnose haben, wird überprüft, ob wir wirtschaftlich gearbeitet haben . Schlimmstenfalls droht eine Honorarkürzung. Generell gäbe es hier die Möglichkeit „Erschöpfungszustand“, „Schlafstörung“, “Ängste“, „depressive Verstimmung“ usw. per ICD zu codieren. „Klimakterium“ ist allerdings keine psychosomatische Diagnose. Dazu kommt, dass viele Wechseljahresbeschwerden nicht psychosomatischer Natur sind (Gelenkschmerzen, Herzrasen, Haarausfall etc.). Hier gibt es keine Möglichkeit der Abrechnung eines ausführlichen ärztlichen Gespräches.

Wir brauchen eine hohe Qualität in der Beratung

Zusammen mit anderen Frauen bin ich in der Kampagne #wirsind9millionen organisiert, und du unterstützt die Kampagne. Viele Journalistinnen, Influencerinnen, und Unternehmerinnen klären auf ihren eigenen Kanälen oder in Medien über die Wechseljahre auf. Braucht es eine zentrale Stelle, um Frauen beispielsweise zum 40. Lebensjahr über die Wechseljahre zu informieren?

Dr. Anne Scheffler-Gumm: Eine zentrale Stelle nach dem Vorbild des Mammografiescreenings wäre grundsätzlich für die Aufklärung vorstellbar. Es stellt sich dann die Frage, wer die Expertise dazu bringen soll. Es sollte hier die hohe Qualität der Beratung gesichert werden und möglichst evidenzbasiert stattfinden. Außerhalb der Aufklärung ist aber zusätzlich eine individuelle Beratung und Behandlung notwendig. Diese Kompetenz kann meiner Ansicht nach nur geeignetes Fachpersonal übernehmen, also Ärzt:innen, MFAs oder Spezialist:innen für Sport und Ernährung. Darüber hinaus brauchen wir mehr unabhängige Forschung für diesen medizinischen Bereich. Diese müsste mit öffentlichen Mitteln gefördert werden.

Wäre die Aufklärung nicht auch Aufgabe der Krankenkassen?

Dr. Anne Scheffler-Gumm: Die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen richten sich nach dem Sozialgesetzbuch V unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§12). Die Krankenversicherungen differenzieren hier von der Eigenverantwortlichkeit der Patient:innen. Wo zu dem Thema Aufklärung und Beratung der Wechseljahre hier die Grenze ist, wäre mit den Krankenversicherungen, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Gemeinsamen Bundesausschuss zu diskutieren. Das wäre sicherlich einen Versuch wert.

Die Wechseljahre sind ein beratungsintensives und komplexes Thema

Überall kann man lesen, dass der Frust der Kassenärzt:innen groß ist. Wie könnte man niedergelassene Ärzt:innen motivieren, sich stärker für Frauen in den Wechseljahren zu engagieren? Was ist von politischer Seite notwendig?

Dr. Anne Scheffler-Gumm: Mit Aufklärung allein ist es nicht getan. Es muss eine individuelle Beratung und Behandlung ermöglicht werden. Kassenärzt:innen stehen so stark wie noch nie in einem Spannungsfeld aus eigenem ärztlichen Ethos, Bürokratie, wirtschaftlichen Anforderungen, und Sanktionsdruck durch die Kassenärztlichen Vereinigungen. Die Bereitschaft der Gynäkolog:innen sich diesem Thema zuzuwenden wäre erheblich grösser, wenn der Faktor Zeit/Patient:in erhöht werden würde. Aktuell haben wir durchschnittlich 7,5 Minuten pro Patient:in. Diese Zeit reicht für ein beratungsintensives, komplexes Thema wie die Wechseljahre nicht aus. Außerdem ist eine Entbudgetierung der ärztlichen Leistungen dringend nötig. Eine Medizin zur Diagnostik durch Anamnese und Gespräch sollte gefördert und ermöglicht werden und somit eine aufklärende und beratende Medizin.

Wäre die Beratung zu den Beschwerden der Wechseljahre als individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) sinnvoll? Welche Vor- und Nachteile hätte das?

Dr. Anne Scheffler-Gumm: Vorübergehend ist eine Beratung als IGeL-Leistung sinnvoll. IGeL-Leistungen sind mittlerweile im Gesundheitssystem etabliert und weitgehend akzeptiert. IGeL-Leistungen müssen obligat nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) finanziell abgebildet werden und sind keiner finanziellen Willkür unterworfen. Ein Vorteil wäre, dass das sofort im momentanen Gesundheitssystem umsetzbar wäre. Über Krankenzusatzversicherungen oder Kostenerstattungsverfahren wäre das eventuell refinanzierbar, ähnlich wie in der Zahnmedizin. Der Nachteil wäre, dass die individuellen Kosten für die Patient:innen steigen.

Hast du ein Beispiel für eine andere Indikation, wo Aufklärung und Versorgung von Patient:innen nach politischer Intervention besser funktioniert haben und an dem man sich beim Thema Wechseljahre gut orientieren könnte?

Dr. Anne Scheffler-Gumm: Das Chlamydienscreening wird ärztlich motivierter durchgeführt, seitdem es eine Abrechnungsmöglichkeit dafür gibt. Vor dem Jahr 2020 war es eine unentgeltliche Leistung der Kassenärzt:innen. Mittlerweile gibt es eine ärztliche Beratungsziffer (EBM 01823) und Durchführungsziffer (EBM 01824). Beide Ziffern gemeinsam ergeben einen Betrag von ca. 5 Euro (Aufklärung, Beratung, Urinuntersuchung, Ergebnis, ggf. Therapie, Dokumentation). Auch die Beratungsziffer EBM 01740 kann zur Beratung zur Diagnostik des Colonkarzinoms einmalig im Leben jeder Patient:in kassenärztlich abgerechnet werden.

Breitgefächerte Aufklärung in der Öffentlichkeit

Hast du einen weiteren Wunsch für das Thema Wechseljahre, den aus deiner Sicht viele Kassenärzt:innen teilen?

Dr. Anne Scheffler-Gumm: Der berechtigte Anspruch der Patient:innen zur individuellen ärztlichen Beratung und Aufklärung durch Kassenärzt:innen ist zurzeit nicht zu erfüllen. Die Ressource „ärztliches Gespräch“ wird politisch nicht ausreichend unterstützt. Ein gegenseitiges Verständnis wäre hier hilfreich. Eine breitgefächerte Aufklärung in der Öffentlichkeit über das physiologische Phänomen der Wechseljahre wäre sehr wünschenswert, so dass sich Kassenärzt:innen auf die individuelle Beratung und Behandlung von Wechseljahresbeschwerden konzentrieren können. Die Tätigkeit besteht momentan zu 90 Prozent aus Aufklärungsarbeit und Beseitigung von Verunsicherungen, welche aus schlechter Kommunikation der Wissenschaft („WHI-Studie“) und in den Medien entstanden sind.

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