Die gynäkologischen Praxen werden derzeit mit Frauen in den Wechseljahren „überschwemmt“. So drückte es zumindest die Präsidentin der Deutschen Menopause Gesellschaft, Dr. Katrin Schaudig, am 20.9.2022 auf einer Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie aus. Die endokrinologische Gynäkologin wies darauf hin, dass in den Praxen vor allem „Baby Boomer“ sitzen. Auch der Endokrinologe und Androloge Prof. Dr. Stephan Petersenn bestätigte, dass sich derzeit in Deutschland mehr Frauen in den Wechseljahren als je zuvor befänden und der Beratungsbedarf riesig sei.
Hitzewallungen, Schlafstörungen und depressive Verstimmungen sind typische Beschwerden der Wechseljahre. Ein Drittel der Frauen ist dadurch im Alltag stark beeinträchtigt. Doch obwohl eine Hormonersatztherapie (HRT) die Symptome am wirksamsten lindert, nehmen laut dem aktuellen Gesundheitsreport 2022 der Techniker Krankenkasse (TK) hierzulande immer weniger Frauen Hormone gegen ihre Beschwerden ein (1). Entschieden sich im Jahr 2000 noch 37 Prozent der Frauen für eine HRT, stagniert dieser Wert seit 2020 bei etwa sechs Prozent, so die Daten der TK. „Dabei reflektieren die 37 Prozent ganz gut den Wert der Frauen, die unter starken Beschwerden leiden und eine HRT benötigen,“ sagte Dr. Schaudig.
Die Wechseljahre dauern nicht Monate, sondern Jahre
Nach der Study of Women’s Health Across the Nation (SWAN) leiden Frauen durchschnittlich 7,4 Jahre an häufigen Hitzewallungen (2). Weitere typische Beschwerden sind Stimmungsschwankungen, Ängste, Schlafstörungen oder Herzklopfen. Die Scheidenhaut wird dünner, trockener und verliert ihre Elastizität, außerdem können Gelenkbeschwerden und sexuelle Unlust auftreten (3). „Alles in allem sind etwa 75 Prozent der Frauen von Beschwerden betroffen“, sagte Dr. Schaudig. Die Hormonersatztherapie gilt als wirksamste Behandlungsmethode bei vasomotorischen Methoden wie Hitzewallungen, aber viele Frauen haben Angst vor den Risiken einer Hormoneinnahme – etwa an Brustkrebs zu erkranken oder einen Schlaganfall zu erleiden. „Diese Sorge basiert auf der überwiegend negativen Berichterstattung in den Medien“, so Katrin Schaudig. „Diese bezieht sich vor allem auf die im Jahr 2002 publizierte Women`s Health Initiative Study, die die Risiken dieser Therapie betonte.“ Alle errechneten Risiken waren allerdings nach Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO als „seltene Nebenwirkung“ einzustufen, so die Gynäkologin weiter. Zudem wurden in der Studie Frauen untersucht, die im Durchschnitt 63 Jahre alt waren und damit die typische Wechseljahresphase bereits hinter sich hatten. Ein wichtiger Punkt sei auch, dass damals noch Hormonpräparate eingesetzt wurden, die Ärzt:innen heute überwiegend nicht mehr verwenden, so Schaudig. Die Präparate aus der WHI-Studie, bei denen das Östrogen aus Pferdeurin gewonnen wird, kämen in Deutschland gar nicht mehr zum Einsatz. „Es hat Jahre gedauert und eine Fülle von Daten gebraucht, bis man zu dem Schluss kam, dass heutzutage für die meisten Frauen die Vorteile einer Hormonersatztherapie die Risiken überwiegen“, fuhr sie fort.
Mittlerweile werden moderne Präparate, körpereigene bzw. bioidentische Hormone, eingesetzt. Dabei wird das Öströgen transdermal über die Haut aufgetragen. „Geschluckte Hormone scheinen mehr Risiken zu haben“, sagte Schaudig. „Wenn wir Östrogen über die Haut geben, können die Risiken im Bereich der Gefäße, wie Thrombosen oder Schlaganfall, umgangen werden.“ Im Vergleich zur HRT der WHI-Studie sei die moderne Hormontherapie eine schonendere Therapie. „Wir können damit sehr viel variabler und ‚feiner getuned‘ therapieren. Die Dosis ist auch niedriger.“
Bioidentische Hormone sind keine Wundermittel
Trotzdem wären auch die bioidentischen Hormone keine Wundermittel. Das auf die Haut aufgetragene Östrogen mache zwar genau das gleiche wie der Organismus der Frau in fertilen Zeiten. Beim Progesteron sei das aber anders, es werde bei oraler Aufnahme stark verstoffwechselt: „Bei vaginaler Applikation kommt man eher an die natürliche Wirkung heran“, so Schaudig. Allerdings habe Progesteron eine kurze Halbwertzeit, „eine kontinuierliche Abgabe von Progesteron schaffen wir nicht – auch nicht mit bioidentischen Hormonen.“
Sie verwies noch auf eine falsche Anwendung von Progesteron, die leider immer wieder vorkommt: „Bei transdermaler Anwendung wird Progesteron in der Haut verstoffwechselt, das heißt, es kommt zu wenig in der Gebärmutter an. Die Gebärmutterschleimhaut ist dann nicht ausreichend geschützt.“ Progesteron wird im Rahmen einer Hormonersatztherapie vor allem verabreicht, um ein Wuchern der Gebärmutterschleimhaut zu verhindern, hat aber natürlich auch noch andere Effekte auf den weiblichen Körper und fördert u.a. Gelassenheit und Schlaf.
Risiko Brustkrebs durch Hormonersatztherapie kann reduziert werden
Es gibt kaum eine Diskussion zur HRT, in der nicht über Brustkrebs gesprochen wird. „Das Risiko durch Hormone ist nicht wegzudiskutieren“, erklärte Katrin Schaudig. „Aber, es ist überschaubar. Vor allem die Früherkennung ist dabei das A und O.“ Wenn Frauen durch eine Hormontherapie ihr Risiko für Brustkrebs gering steigern würden, könnten sie dieses mit anderen Stellschrauben wie Abnehmen, wenig Alkohol, viel Bewegung und Sport wieder reduzieren, so dass sie insgesamt ein geringeres Risiko hätten. Sie rät Frauen, dass diese in jedem Fall die Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen, also alle zwei Jahre eine Mammografie machen lassen und zusätzlich überlegen sollten, ob sie einmal im Jahr einen Ultraschall der Brust machen ließen. Für die Risikobewertung sei aber vor allem der individuelle Gesundheitszustand der Frau entscheidend, so hätten adipöse Frauen ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs.
Eine vorangegangene Brustkrebserkrankung ist meistens ein Ausschlussfaktor für eine HRT, da die Therapie das Risiko für ein Wiederauftreten des Mammakarzinoms erhöhen kann. Kommt eine HRT nicht infrage, stehen andere nicht-hormonelle Therapieansätze zur Verfügung. Dazu gehören etwa Antidepressiva, Phytoöstrogene, Johanniskraut- und Traubensilberkerze-(Cimicifuga)-Präparate, Sport, Akupunktur, kognitive Verhaltenstherapie und Hypnose. „Für diese Beratung und die Abwägung aller Vor- und Nachteile der Therapieentscheidung brauchen wir jedoch viel Zeit“, sagt Schaudig. Leider werde sie bislang nicht vergütet.